| Alexis Waltz on Mon, 18 Mar 2002 14:42:36 +0100 (CET) |
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| [rohrpost] Interview mit Michael Hardt und Toni Negri |
"Es herrscht noch zu wenig Globalisierung"
Ist Widerstand zwecklos? Toni Negri und Michael Hardt
über ihre politische Theorie eines Imperiums im
Weltmaßstab, das kein Außen mehr kennt, über das neue
Verhältnis von Markt und Politik, über Alternativen im
System, die Kurzsichtigkeit rein lokalen Protests
sowie die Potenz der Vielen
Von MICHAEL BRAUN
taz: Herr Negri, Herr Hardt, Ihr gemeinsames Buch
"Imperium" wird viele Leser überraschen, die sich
womöglich eine Streitschrift mit dem Thema USA, ein
Pamphlet gegen die einzige verbliebene Weltmacht
erwartet haben …
Toni Negri: Es geht mir mittlerweile auf die Nerven,
dass von unserem Buch behauptet wird, es sei nicht
antiamerikanisch. Es ist weder anti- noch
proamerikanisch. Wenn wir sagen, dass der Ort, von dem
die imperiale Herrschaft ausgeht, ein Nicht-Ort ist,
dass er eben kein Nationalstaat ist, dann darf diese
Negierung ihrerseits nicht in ein positives Urteil
umgedreht werden. Natürlich schließen wir keineswegs
aus, dass die Amerikaner Sachen anstellen, die mehr
als unschön sind.
Michael Hardt: Zum Antiamerikanismus ist zweierlei zu
sagen. Erstens tendiert er dahin, die USA komplett auf
einen Nenner zu bringen und damit zugleich auch die
positiven, demokratischen Traditionen des Landes zu
negieren. Andererseits aber tendiert er auch dahin,
gnädiges Schweigen über andere Mächte auf dieser Welt
zu breiten. Unser Buch kann durchaus als
antiamerikanisch gelesen werden, aber es reicht eben
nicht, gegen die Vereinigten Staaten zu sein. Unser
Buch ist genauso antifranzösisch, antiitalienisch,
antiindonesisch.
Imperium - das erinnert sofort an Imperialismus.
Dennoch dementieren Sie entschieden, die x-te
Imperialismustheorie vorgelegt zu haben.
Toni Negri: Der Imperialismus war ein Geschöpf der
Nationalstaaten, und er bewegte sich entlang von
Freund-Feind-Definitionen, da es ja jeweils andere
Imperialismen gab, die opponierten. Nach innen lebte
der Imperialismus von der Verherrlichung der Tradition
der staatlichen Souveränität, und nach außen war er
eine Form des Exports von Macht, von Kultur, von
wirtschaftlichen Interessen, ein Export, der natürlich
den Anderen zerstörte.
Der Imperialismus unterscheidet sich deshalb
grundlegend von der neuen Form der Macht, die sich als
ein Zusammen von Formen der Beherrschung darstellt.
Das Imperium begreift ein Bündel sehr
unterschiedlicher Herrschaftstechniken in seiner
"Governance" ein, in diesem kontinuierlichen Strom der
Herrschaft, die es überall ausübt. Es ist eine
dynamische Form, vor allem aber eine alles vereinende
Form, das kein Außerhalb mehr kennt.
Was heißt das - es gibt kein Außerhalb mehr?
Michael Hardt: Es heißt ganz gewiss nicht, dass das
Drinnen homogen verfasst wäre. Auch heute leben in der
Welt Differenzen fort, die genauso wichtig sind wie
früher, Differenzen in der Macht, im Reichtum usw.
Aber diese Differenzen sind heute im Inneren eines
Herrschaftssystems eingeschlossen.
Zugleich meinen wir mit der Aussage, es gebe kein
Außerhalb mehr, ganz gewiss nicht, dass keine
Alternative mehr existiert. Aber die Alternative
entsteht aus dem Inneren des Imperiums heraus. Statt
eines Außerhalb, das widersteht, haben wir heute ein
produktives Innerhalb. Widerstand ist heute kein
tauglicher Begriff mehr für die Schaffung einer
Alternative.
Toni Negri: Wir gehen dabei von einer Konzeption des
Seins aus, der Existenz. Und das ist keine Konzeption,
die auf das Elend des Seins abhebt, sondern auf seinen
Reichtum. Manche werfen uns zum Beispiel vor, dass wir
den Begriff des Exodus gebrauchen. Der habe doch gar
keinen Sinn mehr, wenn das Imperium kein Außerhalb
mehr kennt. Das ist es ja eben: Gerade dann hat der
Exodus, haben die Wanderungen der Menschen eine neue
Potenz.
Das Gleiche gilt für die Befreiung: Es habe keinen
Sinn mehr, von ihr zu reden, wenn es kein Außerhalb
mehr gebe. Wir meinen dagegen, dass die Befreiung die
Hervorbringung von etwas anderem, etwas Mächtigem im
Inneren dieses Rahmens ist. Wir verfolgen damit eine
Philosophie vollkommener Immanenz.
"Imperium" ist also kein "No Global"-Buch?
Toni Negri (lacht): Das kann man so sagen, wenn man
die Anführungsstrichelchen weglässt. Wir haben ein
Global-Buch geschrieben, aber es ist zugleich "No
Global", wenn wir mit dem Terminus die Bewegung der
Globalisierungskritiker meinen.
Auf jeden Fall aber beurteilen wir Formen des
lokalistischen Widerstands gegen die Globalisierung
als rein reaktiv; sie reagieren auf die Schaffung
dieser neuen Welt des Imperiums, ohne Auswege angeben
zu können, die hin zu mehr Freiheit für alle führen.
Michael Hardt: Wir wollen unterstreichen, dass heute
nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an
Globalisierung existiert. Die heutige Globalisierung
stößt an enge Grenzen. Man muss die Macht
globalisieren, den Reichtum, die
Bewegungsmöglichkeiten für die Arbeitskräfte.
Globalisierung allein heißt eben gar nichts. Natürlich
sind wir gegen die aktuelle Form der Globalisierung,
aber auch gegen eine lokalistische oder
nationalistische Linke, die argumentiert, man müsse
einem global agierenden Kapital lokalen Widerstand
entgegensetzen oder man müsse gegen ein die nationale
Souveränität zersetzendes Kapital die Nation
verteidigen.
Sie beanspruchen mit Ihrem Buch, Globalisierung nicht
bloß auf der Oberfläche zu beschreiben, sondern auch
die letztlich für die heutigen Veränderungen
konstitutiven Formen der Produktion und der
Reproduktion zu erfassen. Zwei Begriffe, die dabei
immer wieder auftauchen, sind "Bio-Politik" und "Bio-
Macht".
Toni Negri: Die Globalisierung, verstanden als reine
Ausdehnung der Märkte, ist so alt wie der
Kapitalismus. Das vollkommen neue Element unseres
Buches - das uns auch viel Kritik einhandelt, da wir
angeblich zu wenig von der Ökonomie reden - ist die
These, dass es den Markt ohne die Politik nicht gibt,
dass beide im Gleichklang marschieren. Das galt
früher, als sie sich parallel bewegten, als zwei
gegenüber anscheinend externe Größen.
Aber zunehmend hat die kapitalistische Entwicklung zu
einer weitgehenden gegenseitigen Durchdringung
zwischen den Elementen politischer Lenkung und den
konstitutiven Elementen des Marktes geführt. Und
dieses Gemisch betrifft zunehmend nicht nur die
Individuen, die nicht mehr bloß diszipliniert werden,
sondern die Bevölkerungen, die sich als Akteure des
Produktions- wie des Reproduktionsprozesses
umfassender Kontrolle unterworfen sehen.
Hinzu tritt ein weiteres zentrales Element: Die
Unterscheidung zwischen dem Arbeitstag - den acht der
Produktion gewidmeten Stunden - und dem Leben - sprich
den anderen 16 Stunden -löst sich zunehmend auf. Auch
hier gibt es kein Außerhalb mehr, und dies meinen wir
mit Bio-Politik: Die Unterscheidung zwischen
Produktion und Leben verschwindet.
So wie Sie das kapitalistische System in veränderten
Termini beschreiben, so führen Sie einen neuen
Terminus für die Kraft der Veränderung ein. Manchmal
noch taucht der Begriff "Proletariat" auf, meist aber
reden Sie von "Vielheit" "multitude". Wer ist das?
Michael Hardt: Wenn wir Proletariat in weitem Sinne
auffassen - als alle die, die arbeiten - dann sind wir
bei der Vielheit. Ich möchte die Wahl dieses Begriffs
aber auch aus amerikanischer Sicht erklären.
Spätestens seit den Achtzigerjahren haben wir mit zwei
Formen politischer Organisation zu tun. Die eine
basiert auf einer umfassenden Identität; das sind vor
allem die unitarisch oder hierarchisch verfassten
Parteien. Die andere, seit den Achtzigern entstandene
Organisationsform basiert dagegen auf der Politik der
Differenz, will jeder Gruppe ihren spezifischen
Ausdruck verschaffen.
Diese Alternative zwischen Identität und Differenz ist
unserer Meinung nach eine Sackgasse. Wir wollen dieser
Alternative mit dem Begriff der "Vielheit" ausweichen:
das ist die Vielfalt, die zu gemeinsamem Handeln
findet. Eben dies tun meines Erachtens die Bewegungen
nach Seattle. Sie organisieren sich in dieser Weise
und entfliehen der Alternative Identität-Differenz.
Toni Negri: In Italien ist in vielen Städten ein
"Social Forum" entstanden; da finden jeweils ganz
unterschiedliche Identitäten zusammen. Wir finden
Gewerkschafter, Vertreter der Arbeiterklasse also,
neben Umweltgruppen, neben Gruppen, die gegen die
Ausländergesetzgebung kämpfen, und so weiter.
Aber wir haben "Vielheit" noch aus einem weiteren
Grund gewählt. Traditionell steht "Proletariat" für
die Klasse der Ausgeschlossenen, wir dagegen wollen
die Potenz der Vielen unterstreichen. Die Vielen
vermögen sehr viel, auch wenn sie materiell womöglich
äußerst arm sind, schlicht weil sie in die bio-
politischen Mechanismen der Reproduktion der Welt
eingebunden sind. Deshalb sehen wir den Überfluss, den
Reichtum an Imagination, an Gefühl, an Fähigkeit sich
zu bewegen - das ist für uns ein erstrangiges Element.
Vielen werden die Schlusskapitel des Buchs, in denen
Sie die Szenarien der Veränderung darlegen, recht
utopisch erscheinen. Meinen Sie nicht?
Michael Hardt: Zunächst einmal ist es sehr positiv,
dass die Linke wieder beginnt, utopisch zu denken -
sprich zu denken, dass eine Alternative möglich ist -
und die existenten Möglichkeiten zu erblicken, statt
in der Welt immer nur die gegen uns ausgeübte
Übermacht aufzuspüren und sich dann zu arrangieren.
Toni Negri: Unser Buch ist alles andere als utopisch -
die Vorschläge, die wir machen, sind mehr als
realistisch.
Wenn wir zum Beispiel von der Notwendigkeit eines
universellen Bürgerrechts reden, verweisen wir auf das
Flüchtlingsdrama, das sich in den Meeren rund um
Italien abspielt. Wenn wir ein gesellschaftliches
Grundeinkommen fordern, dann sprechen wir ganz einfach
von der verbreiteten Arbeitslosigkeit und von den
kontinuierlichen Versuchen, die Arbeitskosten zu
drücken, gegen das alte, dreckige Spiel des Kapitals,
die Leute auf ein Hungerniveau runterzubringen. Und
wenn wir davon reden, dass das Eigentum immer mehr zu
einer gemeinschaftlichen Angelegenheit wird und dass
wir es uns in seinen neuen Formen wieder aneignen
müssen, dann reden wir von etwas, das auch dem
Internetnutzer jeden Tag präsent ist.
Das alles hat mit Utopie nichts zu tun - lassen Sie
uns die Zeit für unser nächstes Buch, um dann unsere
Utopie zu Papier zu bringen.
die tageszeitung Nr. 6703 vom 18.3.2002, Seite 15
http://www.taz.de/pt/2002/03/18/a0147.nf/text
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